Die Hochschulrektorenkonferenz hat einen Vorstoß unternommen, den Vorlesungsbeginn ab 2011 auf März und September zu verlegen, und hat dieses Ziel in der Mitgliederversammlung im Januar 2009 erneut bekräftigt (Pressemitteilung 28.01.09). Begründet wird dies damit, dass die Semesterzeiten den „internationalen Gepflogenheiten“ angepasst werden sollen, um den akademischen Austausch für Studierende zu erleichtern. Dabei wird unterstellt, dass durch die jetzigen Semesterzeiten ein solcher Austausch erschwert oder verhindert wird. Ob dies tatsächlich der Fall ist, ist weder durch statistische Untersuchungen, noch durch überzeugende Beispiele belegt.
In der Praxis sind die Nachteile der jetzigen Regelung nicht erkennbar:
• Die vorlesungsfreie Zeit bildet zeitliche Pufferzonen, so dass die jetzigen Semesterphasen Oktober-Februar und April-Juli sich mit den Phasen anderer Länder (September-Dezember und März-Juni) faktisch nicht überschneiden. Daher wird der internationale Austausch durch die derzeitige Phasenverschiebung keineswegs, wie behauptet, behindert.
Der angestrebte Effekt würde nur begrenzt erzielt:
• Die angestrebte internationale Angleichung würde auch durch die Verschiebung der Semesterphasen in Deutschland nicht erreicht, da es neben den vorgeschlagenen Semesterzeiten grundlegend andere Modelle gibt, wie z.B. Trimester (an manchen Universitäten in Großbritannien und den USA). Für den Austausch mit diesen Ländern bzw. Universitäten wäre also nichts gewonnen.
Dagegen würde die geplante Umstellung mehrere Nachteile mit sich bringen. Für Studierende ergeben sich folgende Probleme:
• Die neuen Semesterzeiten harmonieren nicht mit dem deutschen Schulsystem. Die ohnehin knappe Bewerbungsphase zwischen dem Abitur und dem Studienbeginn im Wintersemester würde durch die Neuregelung derart verkürzt, dass die Schulabgänger sich nicht mehr mit ihrem Abiturzeugnis bewerben könnten. Verteilungs- und Auswahlverfahren könnten auf diese Weise nicht mehr sinnvoll durchgeführt werden.
• Studierende haben bisher den September als Ende der allgemeinen Ferienzeit im Sommer oft für Praktika genutzt. Durch die Neuregelung könnte es in Zukunft schwieriger werden, Praktikumsplätze zu finden.
Auch für den wissenschaftlichen Austausch ergeben sich Nachteile:
• Bisher können Dozenten und Forscher die Phasenverschiebung nutzen, um Universitäten im Ausland während des dortigen Semesters zu besuchen, ohne dass der Lehrbetrieb an der Heimatuniversität beeinträchtigt wird. Diese Möglichkeit wird derzeit häufig für Gastvorträge und Workshops genutzt und erleichtert den internationalen wissenschaftlichen Austausch; durch eine Gleichschaltung der Semesterzeiten würde sie entfallen. Gerade in den „Kleinen Fächern“, die oft nur eine Professur haben, ergibt sich dadurch ein Vertretungsproblem.
• In vielen Disziplinen – auch in der unseren – ist der September ein beliebter Monat für internationale Konferenzen. Die Teilnahme an solchen Tagungen würde durch die Neuregelung erschwert.
• Insbesondere in den orientalistischen Disziplinen ist Feldforschung in der heißen Jahreszeit nicht überall möglich. Daher ist der September ein wichtiger Monat für Feldforschung und Grabungen, der für diesen Zweck freigehalten werden sollte.
Aus diesen Gründen sind die Vorteile der Neuregelung nicht erkennbar; dagegen ergeben sich mehrere gravierende Nachteile für Studierende und Lehrende. Die geplante Umstellung würde einen erheblichen bürokratischen Aufwand bedeuten, der keine nachvollziehbare Verbesserung der Situation herbeiführt.
Die Deutsche Morgenländische Gesellschaft spricht sich daher gegen die geplante Neuregelung der Semesterzeiten aus. Dem internationalen Austausch scheint die geplante Maßnahme nicht zuträglich zu sein.
Um den internationalen Austausch von Studierenden zu erleichtern, wäre es sinnvoller, die Überregulierung von Studiengängen abzubauen und unbürokratische Einzelfallregelungen zuzulassen. Die größte Hürde – und zwar nicht nur für den Austausch mit ausländischen Universitäten, sondern sogar zwischen deutschen Universitäten – ist das oft viel zu enge Korsett der Bachelor-Studiengänge.
Zudem hat sich bei der Einführung der Bachelor-Studiengänge das Problem ergeben, dass die Vorlesungszeit sich durch die neu anfallenden Prüfungsphasen schleichend um ein bis zwei Wochen verlängert. Durch diese stillschweigende Verkürzung der vorlesungsfreien Zeit wird es für die Lehrenden zunehmend schwieriger, ihrer Forschungsverpflichtung in ausreichendem Maße nachzukommen. Ob sich dies durch die geplante Verschiebung der Semesterzeiten verändern würde, ist unklar. Die Deutsche Morgenländische Gesellschaft spricht sich dafür aus, den Erhalt der vollen Vorlesungsfreien Zeit in jedem Fall durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen.
Univ.-Prof. Dr. Claus Schönig,
Erster Vorsitzender der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft
Prof. Philip Clart, Ph.D.
Universität Leipzig, Ostasiatisches Institut
Schillerstr. 6, D-04109 Leipzig
Tel.: (0341) 9737151
E-mail: clart@uni-leipzig.de
apl. Prof. Dr. Peter Stein
Friedrich-Schiller-Universität, Theologische Fakultät
Fürstengraben 6, D-07737 Jena
Tel. (03641) 94 27 14
E-mail: peter.stein@uni-jena.de